Startseite » Allgemeines » Bericht von der Veranstaltung des Forums am 1.3.2013

Bericht von der Veranstaltung des Forums am 1.3.2013

„Gibt es eine Zukunft für das Land Berlin und seine Bezirke im Rahmen von Sparhaushalt und Schuldentilgung?“

als PDF-Download

Am 3. März 2013 hatte das Forum für die Wiederherstellung der Handlungs- und Gestaltungsräume des Landes und der Bezirke Berlins zu einer Diskussion im Haus des ver.di-Landesbezirks eingeladen u.a. mit:

  • Frank Zimmermann, Mitglied des Abgeordnetenhauses
  • Annegret Hansen, Mitglied in der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf
  • Rolf Wiegand, Vorsitzender des Präsidiums des ver.di Landesbezirkes Berlin-Brandenburg
  • Edwin Hoffmann, Leiter Personal und Finanzen, Bezirksamt Treptow-Köpenick

 

Ca. 60 TeilnehmerInnen aus verschiedenen Bezirksverordnetenversammlungen, GewerkschafterInnen und Personalräte, sowie SozialdemokratInnen und politisch Interessierte bzw. Engagierte nahmen an der solidarischen, aber auch durchaus kontroversen Diskussion teil.

Vor allem KollegInnen aus den Bezirken zeigten an Beispielen, dass die jahrelange „Sparpolitik“ das Land und die Bezirke ruiniert:

Da der SPD/CDU-Senat von den Bezirken statt notwendiger Neueinstellungen, nach schon jahrelangem Abbau, einen weiteren Stellenabbau verlangt, sind die Behörden und Ämter teilweise so unterbesetzt, dass sie monatelang für den Publikumsverkehr geschlossen blieben, wie z.B. in Charlottenburg-Wilmersdorf das Bafög-Amt und die Elterngeldstelle. Selbst die Bürgerämter beschränken ihre Öffnungszeiten.

Kollegen erinnerten auch an den Investitionsstau, der an den Berliner Schulen 1 Milliarde Euro beträgt, bei den Krankenhäusern 800 Millionen, bei den Kitas 120 Millionen, bei den Schwimmbädern 75 Millionen, bei den U-Bahnen und Straßenbahnen 800 Millionen. Bei den Straßen sind es 400 Millionen.

Einig waren sich alle Beteiligte darüber, dass es angesichts dieser katastrophalen Entwicklung keine Gestaltungs- und Handlungsräume für das Land und die Bezirke mehr gibt. Die finanziellen Mittel des Landes sind nicht ausreichend, um die Aufrechterhaltung der Öffentlichen Daseinsvorsorge im Land Berlin und in den Bezirken zu garantieren. Der Weg in den Abgrund scheint vorgezeichnet.

Einig waren sich auch alle, dass das bekannte Manöver des Senats durchbrochen werden muss, das Land und die Bezirke gegeneinander und die Bezirke untereinander in Konkurrenz zu treiben, um über dieses „Teile und Herrsche“ seine Sparmaßnahmen durchsetzen zu können.

 

In ihrer Einführung erklärte Annegret Hansen, dass der jährliche Produkt-Vergleich der Senatsfinanzverwaltung, also die Statistik, die feststellt, was z.B. die Ausstellung eines Personalausweises in den einzelnen Bezirksämtern kostet, ein Dokument zur Spaltung der Bezirke untereinander sei. Jedes Jahr würden weitere Sparrunden verlangt und es scheint so, dass der Senat noch weiter gehen will und alles daran setzt, die Bezirke abzuschaffen. „Damit würden aber wichtige Aufgaben für die Bürger und Bürgerinnen wegfallen.“

Edwin Hoffmann warf zunächst die Frage auf, kann der Senat Stellenabbau überhaupt verordnen? Die vom Senat gemeinsam mit dem Abgeordnetenhaus beschlossene Globalsumme für die Bezirke, die kaum über eigene Einnahmen verfügen, stehe in keinem Verhältnis zu ihren Aufgaben. Sein Bezirk habe jahrelang „gespart“, doch wo ist die Lösung? Jetzt sei jedenfalls das Ende der Fahnenstange erreicht. Treptow-Köpenick sei zwar noch nicht in der Schuldenfalle, wie andere Bezirke, aber es ist absehbar, dass er die Aufgaben nicht mehr verantwortlich wird wahrnehmen können.

Die Hälfte des Personals wurde in den vergangenen Jahren schon abgebaut, so Rolf Wiegand. Und jetzt soll noch mehr abgebaut werden. Das ist unverantwortlich, da wir in den nächsten Jahren, große Probleme haben werden, Personal zu finden. Und wer neues Personal finden wolle, der müsse Geld in die Hand nehmen.

Frank Zimmermann stellte zunächst fest, dass trotz der Politik der Privatisierung der Öffentlichen Daseinsvorsorge, der „Konsolidierung der Haushalte“, der Ausgliederungen und „schlanken Verwaltung“ die öffentliche Verschuldung noch zugenommen hat. Doch diese neoliberale Politik der Schuldenbremse wurde in Verfassungsrecht gegossen, mit der Föderalismusreform in Deutschland von 2009, wie dem europäischen Fiskalpakt. Er nannte das Beispiel des Stabilitätsrats, der früher beratenden Charakter hatte, heute aber in die Haushaltshoheit direkt eingreifen kann. Seine „Vorgaben“ sind zwingend, sie zu ignorieren, hat praktische Konsequenzen. Aber wir können nicht warten, bis wir das Verfassungsrecht geändert haben und müssen heute handeln. Deshalb hätte die SPD-Fraktion eine Schubumkehr diskutiert, um sich dafür dass einzusetzen, dass kein weiterer Personalabbau stattfindet und dass es eine Kampagne für Einstellungen in den Öffentlichen Dienst gibt.

Die anschließende Diskussion war von der grundsätzlichen Frage bestimmt: Gibt es im Rahmen des Gebots der Schuldenbremse überhaupt noch Spielraum für eine Politik zur Verteidigung und Wiederherstellung der Öffentlichen Daseinsvorsorge und der Handlungsfähigkeit der Bezirke?

So suchen KollegInnen z.B. über eine Verwaltungsreform, oder „Modernisierung“ nach Lösungen. Es wurde u.a. die Überlegung eingebracht, ob nicht die Kosten-Leistungs-Rechnung, die im Prinzip zwar richtig sei, aber die nicht zur Grundlage der Berechnung der Globalsumme genommen werden dürfe, reformiert werden müsse. Wenn man sich am Median (=Mittelwert) orientiere und nicht an den realen Kosten im Bezirk, schreibt man die Spirale nach unten fest, kritisierte Wolfgang Tillinger von der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf. „Bei der Budgetierung müssen andere bzw. zusätzliche Messgrößen herangezogen werden, die der Unterschiedlichkeit der Bezirke gerecht werden, wie u.a. die Flächengröße und andere Strukturfaktoren“, so Ursula Walker von der BVV Treptow-Köpenick. „Zwölf Bezirke, das sind zwölf unterschiedliche Ausgangsbedingungen, die sich auf den Bezirkshaushalt auswirken und eine Berücksichtigung finden müssen.“

Uwe Januszewski (SPD Tempelhof-Schöneberg) sah vor allem das Problem einer falschen Personalpolitik. Andere wollten auf eine Finanzumverteilung setzen, die die Bezirke besser berücksichtige.

Doch immer wieder stellte sich die Frage, kann man einen Ausweg finden, ohne die Schuldenbremse zu durchbrechen?

„Die Leidtragenden sind neben den Beschäftigten der Verwaltung, die Bürgerinnen und Bürger. Wir können ihnen  unsere Politik nicht mehr erklären“, so Ursula Walker. Und Heiko Glawe, Regionsgeschäftsführer des DGB Berlin, meinte: „Es brennt in den Bezirken“. Selbst Senatsbeschlüsse können nicht mehr umgesetzt werden. Was solle z.B. ein Beschluss zu 8, 50 € Mindestlohn, wenn niemand diesen Beschluss kontrolliert.

Gabi Thieme-Duske (SPD Reinickendorf) schilderte noch einmal sehr eindringlich, dass Berlin, eine Stadt in einem der reichsten Länder der Welt geprägt ist von dem Bild sanierungsbedürftiger Schulen, Krankenhäuser und Straßen, so dass die Schlaglöcher selbst das Radfahren zu einem Abenteuer machen. Und das sei das Ergebnis der Konsolidierungspolitik und der Schuldenbremse. Diese müsse überwunden werden.

In einer Diskussion, zu der wenige Tage vorher mehrere SPD-Abteilungen eingeladen hatten, hatte Clara West, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD Fraktion im Abgeordnetenhaus, zuständig für Bezirksfinanzen im Hauptausschuss erklärt: „Die harten Zeiten der Schuldenbremse kommen erst noch“. Nicht nur die Bezirke, sondern auch das Land Berlin sei unterfinanziert. Die Schuldenbremse, die gegen den Widerstand der Berliner SPD im Grundgesetz verankert worden sei, würde das verlangen. Dabei sei für alle klar, dass in den Bereichen Bildung und bei den Bezirken nicht länger gespart werden könne. Die Diskussion ist sehr dringlich, da der Haushalt 2014 und 2015 aufgestellt würde.

Die von Clara West genannte Position spielte auch in der Diskussion am 1. März eine Rolle. Wolfgang Mahnke (SPD-Charlottenburg) erläuterte dass der Zwang zum Abbau des strukturellen Defizits eine schwere Hürde für Berlin sei. Kürzungen bei allen Ressorts werden unausweichlich, soweit sie nicht durch Einnahme-Erhöhungen aufgefangen werden können. Soweit einzelne Bereiche ausgenommen werden, erhöht sich die Kürzung in den übrigen Bereichen. Was hindere die Berliner SPD im Senat daran, die Aufhebung der Schuldenbremse zu fordern? Verfassungen können auch wieder geändert werden.

Was heißt es, so ein Kollege, wenn der Senat erklärt, dass bei der Bildung oder Kitas nicht mehr gespart werde? Unabhängig davon, dass jeder weiß, dass auch in diesem Bereich z.B. durch völlig unzureichende Mittel für Investitionen, bei Lehrergehältern und beim Personal durchaus weiter eingespart wird, und welche Bereiche sollen sonst weiter bluten? Die kommunale Demokratie ist unvereinbar mit dem strikten Sparkurs, an dem der SPD/CDU-Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Wowereit in den nächsten Jahren festhalten will.

„Die Berliner SPD war gegen die Schuldenbremse, aber was tun wir heute, wo sie da ist? Können wir die Schuldenbremse akzeptieren, mit ihr leben?“ Alle unsere Forderungen und unsere Politik sind unvereinbar mit der Schuldenbremse, war das Fazit, dass Gerlinde Schermer (SPD Friedrichshain-Kreuzberg) und andere unter viel Beifall zogen.

Mehrere Kolleginnen und Kollegen meinten, dass es einen Ausweg nur über Einnahmeerhöhungen gehen könne. Ohne eine Erhöhung der Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer sei alles aussichtlos, so Helmut Kynast (SPD Charlottenburg-Wilmersdorf). Dagegen Kollegin Carla Boulboullé, dass unter dem EU-Diktat der „Wettbewerbsfähigkeit“ den Ländern nur die Erhöhung einer Steuer erlaubt sei, nämlich der Mehrwertsteuer. Wenn die SPD wirklich einen Kurswechsel will, muss sie sowohl mit dem Gebot der Schuldenbremse wie dem der Wettbewerbsfähigkeit brechen. Und weiter: Es gehe doch nicht ums Sparen. Im Gegenteil: die öffentlichen Haushalte werden geplündert für die milliardenschweren Rettungsschirme für die Banken. Das ist die Realität. „Die Schuldenbremse ist das Instrument zur Zersetzung der Öffentlichen Daseinsvorsorge.“

Schließlich konzentrierte sich die Diskussion auf die Frage: „Welche Verantwortung haben die Gewerkschaften im Kampf gegen den Ruin der Bezirke?“ Kann es die Aufgabe von ver.di sein, an den Senat zu appellieren, er solle umdenken, bevor es zu spät sei, wie es in der auf der Veranstaltung verteilten ver.di-Resolution zur Berliner Personalsituation im öffentlichen Dienst heißt? Statt eines flehentlichen Appells an den Senat sollte ver.di alles tun, um die vereinte Kraft aller KollegInnen gegen diese Politik die mobilisieren, so eine Kollegin. Renate Steinke, Personalrätin vom Bezirksamt Mitte, ergänzte, dass für alle KollegInnen die Situation unerträglich geworden sei. „Wir brauchen eine gemeinsame Antwort.“

Rolf Wiegand betonte, dass die Gewerkschaften sich durchaus für die Verteidigung der Bezirke aufgestellt hätten und dass eine kraftvolle Demonstration zum Senat, organisiert von ver.di mit den Betroffenen, eine wirkungsvolle Antwort sein könne. Andere meinten, dass von der Zerstörung der Öffentlichen Daseinsvorsorge in den Bezirken und im Land durch die Sparpolitik nicht nur die Beschäftigten sondern alle ArbeitnehmerInnen betroffen seien. Warum kämpfen die Gewerkschaften nicht auf der Basis eines eigenen Aufrufs für eine breite Mobilisierung der arbeitenden Bevölkerung für eine ausreichende Finanzierung des Landes und der Bezirke? Sind da keine gewerkschaftlichen Kampfmittel möglich?

Vera Morgenstern (SPD Bezirksverordnete in Mitte) stellte am Schluss fest, es sei das erste Mal, dass Mitglieder von verschiedenen Bezirksverordnetenversammlungen gemeinsam diskutiert hätten, und es sei wichtig, dass diese Diskussion mit Gewerkschaftern stattgefunden hat.

Es war allgemeines Einverständnis, diese Diskussion, die erst angefangen hat, fortzusetzen mit dem Ziel, Perspektiven für ein gewerkschaftliches und politisches Handeln zu erarbeiten, um das Land und die Bezirke gegenüber der Kaputt- Sparpolitik zu verteidigen.

Gotthard Krupp  (SPD Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf)


Hinterlasse einen Kommentar